Loro
Paolo Sorrentino, Italie, France, 2018o
Il a habité nos imaginaires par la puissance de son empire médiatique, son ascension fulgurante et sa capacité à survivre aux revers politiques et aux déboires judiciaires. Il a incarné pendant vingt ans le laboratoire de l’Europe et le triomphe absolu du modèle libéral après la chute du communisme. Entre déclin et intimité impossible, Silvio Berlusconi incarne une époque qui se cherche, désespérée d’être vide.
Paolo Sorrentino signe un grand film politique, exagéré, trouble et terriblement lucide.
Anne DessuantUn biopic décapant conforme au style flamboyant et à la tonalité politique du cinéma de Paolo Sorrentino. Du grand art !
Gérard CrespoDas Altern und die Macht sind die Lieblingsthemen von Paolo Sorrentino. Es war also wohl nur eine Frage der Zeit, bis er sich an einen Spielfilm über Silvio Berlusconi wagt. Dessen auf die Macht schöner Bilder gestützter Regierungsstil ist dabei inszenatorisches Prinzip. Nicht enden wollende Kaskaden halbnackter junger Frauen gleiten an der öligen Schminkemaske auf dem Gesicht von Toni Servillo ab. In Sorrentinos "La Grande Belezza" spielte er einen alternden Autor, der das Geheimnis der existenziellen Leere sucht. Nun, als "Lui" ("Er"), hat er es gefunden: Grinsend, zerfressen, halbdebil.
Philipp BovermannDie Satire harmoniert prächtig mit der Realität, scheints. Und doch neigt dieser Berlusconi zur Harmlosigkeit. Um nicht zu sagen: zur nostalgischen Projektion. Denn die Zeit ist rauer geworden, und heute wirkt so eine dentalhygienisch makellose Karikatur wie ein freundliches Gespenst.
Christoph SchneiderGalerie photoso
Das Zurich Film Festival zeigt neues Kino aus Italien. Zum Beispiel «Loro», eine Satire über die Berlusconi-Jahre
Der Italiener Paolo Sorrentino («La grande bellezza»), ein Mann für die grellfarbene, ziseliert surreale Satire, hat sich jetzt Silvio Berlusconi vorgenommen. Sein Spielfilm «Loro» ist eine wunderliche, reiche, im Wesentlichen sogar wahre Revue über Berlusconi – über seine «Schöpfung» und seinen Nachlass zu Lebzeiten: ein berlusconistisch (das Wort gibt es wirklich) verkommenes und kindisches Italien. Der Film entfaltet zwischen 2006 und 2009 ein Panoptikum der Korruption und des lüsternen Speichelns mächtiger alter Männer angesichts junger Frauen und ihrer bezahlten Willigkeit.
Es ist, als feiere jene Gegenwart die Orgien des römischen Kaisers Heliogabal nach (allerdings mit zeitgemässen Drogen), der seine Gäste unter Rosen erstickte. Über allem thront dieser Berlusconi, der damals nicht mehr Ministerpräsident ist, es jedoch wieder werden will, weil einer wie er es nicht aushält, nur reich zu sein und immer noch mächtig, aber nicht öffentlich geliebt. Das scheint der Fokus von Sorrentinos Film: die Liebessehnsucht der Macht, der Zynismus und die ölige Jovialität, mit der sie sich austobt. Es ist gespenstisch glaubwürdig.
Und doch neigt hier eine Berlusconi-Karikatur (Toni Servillo), gefärbtes Schwarzhaar, dentalhygienisch makellos, fast zur Harmlosigkeit. Um nicht zu sagen zur Nostalgie, wenn man bedenkt, dass es kaum zehn Jahre gedauert hat bis zum italienischen Innenminister Matteo Salvini, der heute die populistischen Töne ins Faschistische moduliert und fremdenfeindliche Ressentiments zur mitleidlosen Praxis schärft.
Dagegen wirkt Berlusconi schon wie ein freundliches Gespenst. Und derart wirkt Sorrentinos satirischer Überrealismus: Aus der Satire wird – auch – Alterstragödie. Quasi eine Verführung zur Empathie. Und darin wiederum steckt das durchaus Unharmlose und Gegenwärtige von «Loro». Er mutet seinem Publikum die Erkenntnis und Wahrheit der eigenen Verführbarkeit zu.
Das Dilemma des Kinos
In der Sektion «Neue Welt Sicht» des 14. Zurich Film Festival, die sich dieses Jahr dem neuen italienischen Film widmet, kann man es wieder einmal beobachten: Immer ist das Kino, auch das italienische, grad etwas zu spät dran, wenns ihm um die Wirklichkeit geht. Es ist sein künstlerisches Schicksal bei seinen Bestandsaufnahmen der Welt.
Nur in der Künstlichkeit ist der Film vielleicht auf Augenhöhe mit der Realität: in den Metaphern, in denen er die flüchtigen Erscheinungen konzentriert; in den Wahrheitsessenzen, die er aus dem Durcheinander der Details gewinnt; in den Absurditäten, die er entdeckt auf den ethischen Grau- und Schwarzmärkten und in den Rotlichtmilieus zwischen schönen Oberflächen und Kellern voller Leichen.
Zum Zweck eines Ausmistens beschmutzt sich der neue italienische Film also mit dem Dreck des Nestes, aus dem er stammt. Das spielt in allen Valeurs der gesellschaftlichen Misere: nicht nur im Bonbonbunt einer Dekadenzsatire, sondern auch in den Sand- und Steintönen einer fiktiven, fast allegorischen Unrechtsordnung und in den Düsterfarben der brutalsten Tragödie.
Humanistische Haltung
Bei Alice Rohrwacher ist es die ruhige Allegorie. Diese Regisseurin ist eine Schöpferin stiller Filmdichtung und magischer Versponnenheiten. Das Grelle liegt ihr nicht, und ihr Film «Lazzaro Felice» ist auf ganz andere Weise wirklich und überwirklich als «Loro», das bunte Variété. Nämlich eine Welt aus Welten und Zeiten und Zeitgeistern: das verlorene Dorf Inviolata, wo die Marchesa Alfonsina de Luna regiert, die Beherrscherin des Tabaks, die ihren Arbeitern nie gesagt hat, dass die Leibeigenschaft abgeschafft worden ist.
Mitten in dieser Welt der Junge Lazzaro, der die Güte selbst ist, so gut, dass er sich selbst von den Ausgebeuteten ausbeuten lässt. Was man ihm befiehlt, tut er in Unschuld, Schafe hüten, selbst eine Entführung simulieren aus Freundschaft, in ihm ist nur unsterbliche Sanftmut. Und als er nach dem Sturz über eine Klippe stirbt, holt ihn ein Wolf – nach Tagen, nach Jahren? – ins Leben zurück.
Da aber gleitet dieser glückliche Lazarus nun mit seinem heiligenmässigen Gemüt aus der vertrauten Welt ins Unvertraute, aus dem alten «grossen Schwindel» der Marchesa in neue Schwindeleien und in die Widersprüche einer italienischen Moralgeschichte: zwischen Knechtschaft und Anarchie, zwischen Gier und Solidarität, zwischen Brutalität und naiver Seligkeit. An Bergmans Symbolismen erinnert «Lazzaro Felice» manchmal oder an die zärtliche Genauigkeit der Neorealisten, und es ist ein wundersamer, wundervoller Film. Die Vielfalt der Deutungsmöglichkeiten harmoniert darin aufs Freundlichste mit der Eindeutigkeit einer humanistischen Haltung.
Auch das ist engagierte Ausmistung, die ans lebendige italienische Gewissen geht (und eigentlich an jedes europäische Gewissen). Auch das ein Film, der verzweifelnde Hoffnung gegen die grosse soziale Unfreundlichkeit und die Erosion der Gefühle für menschlichen Anstand setzt. Aber es zeigt sich dann doch zuerst und vor allem: die Unerschöpflichkeit des Drecks. Weil der Wirklichkeit, hinter der so ein Film herräumt, ja immer noch eine Obszönität einfällt, an die die Kunst gar nicht gedacht hat.
Ein paar Köpfe rollen immer
Matteo Garrone geht den ganzen Schritt ins Dunkel, wo nur noch eindeutige soziale Dysfunktionalität herrscht. Beim Regisseur von «Gomorrha» geht es in Wirklichkeit und Märchen ja nie gut aus. Ein paar Köpfe rollen immer, buchstäblich. In seinem Spielfilm «Dogman» läufts auf den Fall in die Barbarei hinaus und auf die völlige Vergiftung jeder Lebensfarbe und -schönheit. Ringsum ist bröckeliges Italien, das nur noch so tut, als sei es Zivilisation. Es ist aber Ruine, physisch und psychisch, Freundschaft gilt nichts, und die herrschende Brutalität rührt ans Psychotische.
Es versteinert in dieser Geschichte und dieser Welt das gute Herz des Hundecoiffeurs Marcello und wird wirklich mörderisch hart. Selten sieht man im Kino so konsequentes Einsamkeitsgrau und Verzweiflungsschwarz. Und hier, in «Dogman», am Ende aller Zukunftslust und -aussicht, hat die dramatische Aktualität doch etwas von quasi gefrorener Endgültigkeit.